Newstories

Newstories Teil 1

Mit aufgerissenen Augen starre ich in sein Gesicht. Ich sehe tief in seine blau-grauen Augen… oder sind sie grün? – hasserfüllt blicken sie mich an. Er ist ein hübscher Junge, aus einem Bilderbuch. Kein bisschen hat er sich verändert, seit damals. Mein Blick senkt sich und das Bild verschwimmt. Der Schaft eines Dolches ragt aus meinem Bauch. Ich will nicht sterben…  Mit einem leichten Stoß schleudert er mich nach hinten, zieht dabei gekonnt den Dolch aus der klaffenden Wunde, ich pralle unsanft gegen eine Wand und sinke zu Boden. Ich presse meine Hand auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen – vergebens. Sein Gesicht vor meinem… diese strahlenden Augen, weiße Zähne, ein nahezu makelloses Gesicht… Wie wunderschön er doch ist… Als ich erwache… oder zumindest denke, ich wäre wach, ich bin mir nicht sicher, ob ich noch lebendig bin, ist es still und dunkel um mich herum. Ich habe einen penetranten Blutgeschmack im Mund. Ich will aufstehen, doch ich realisiere schnell, dass ich an einem Stuhl gefesselt bin. Brennender Schmerz breitet sich in meiner Bauchgegend aus. Ich verziehe das Gesicht. – Okay, ich lebe noch… Panisch blicke ich mich um, doch es ist nichts zu sehen. Absolute Dunkelheit. Ich versuche zu schreien, doch es will mir nicht gelingen – ein erbärmliches, leises Fiepen entweicht meiner Kehle. Was hat er bloß mit mir vor? …

Newstories Teil 2

„Warum hast du das getan?“ schreie ich Sie an. „Was meinst du? Das wolltest du doch“, ermahnt Sie mich. Ich erwidere: „Du solltest sie
trotzdem nicht töten!“ „Sie ist doch gar nicht tot.“… „Aber sie wäre beinahe umgekommen. Das hätte nicht sein müssen!“ „Darum habe ich mich bereits
gekümmert.“ Ich stürze in den Raum und schalte das Licht an. Sie kneift die Augen zusammen als das gleißende Licht sie blendet. Tränen laufen Ihr über die Wangen. Ich schaue sie an… – von der Wunde keine Spur, nur eine kaum sichtbare Narbe ziert die Stelle, in der erst vor ein paar Stunden noch der Dolch steckte. Wie kann das sein? „Ich habe doch gesagt, ich habe
mich darum gekümmert“, höre ich die vertraute Stimme sprechen. Ich wusste zwar, dass Sie wirklich mächtig ist, aber dass sie so etwas vollbringen kann… das war mir nicht ganz bewusst… Ich gehe zu ihr und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn. Sanft streichle ich ihr die Tränen aus dem Gesicht. „Was hast du nun vor?“, höre dieselbe sanfte Stimme, die von überall zu kommen scheint. „Ich weiß es nicht genau…“
„Du hast sie nun. Du hast erreicht was du wolltest. Aber zu welchem Zweck?“, fragt Sie mich. Ich weiß genau, dass diese Frage nicht ernst gemeint sein kann, da Ihr die Antwort bereits bekannt ist, und ignoriere die Frage. „Du bist echt noch dümmer als ich dachte“, raunt Sie mich an. „Sei still, du kennst mich doch“, erwidere ich und lache. Fragend sieht das Mädchen vor mir mich mit ihren feuchten, tiefblauen Augen an. Ich gebe ihr noch einen Kuss, schalte das Licht aus und verlasse den Raum… Was ist bloß zwischen uns beiden passiert, dass es so kommen musste?…

Newstories Teil 3

Ich verstehe ihn einfach nicht… Was soll das?! Warum hat er mich geküsst? Was hat er vor?! Ich blicke mich erneut im Raum um… Mittlerweile haben sich meine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt und ich erkenne einen groben Umriss der Umgebung. Ich scheine mich in einem Heizungskeller oder Ähnlichem zu befinden… Anhand der Lichtverhältnisse in dem Raum gehe ich davon aus, dass es Nacht ist. Und wäre es Tag, wäre es viel heller. Es sei denn, der Raum ist
abgedunkelt. Ich versuche, mich um zu drehen, denn die Lichtquelle, sei sie auch noch so schwach, scheint sich hinter mir zu befinden. Vielleicht der Mond? Es gelingt mir nicht. Ich bin hungrig. Und müde… Mir fällt jetzt erst auf, dass die Schmerzen nachgelassen haben. Ich sehe an mir herunter –
die Wunde ist verschwunden! Ungläubig starre ich auf meinen Bauch. *Wie kann das sein?! Nur eine kleine Narbe ziert
die Stelle. Ich versinke verwirrt, wie ich bin, tief in meinen Gedanken und ohne es zu merken verfalle ich in einen unruhigen Schlaf.

Unauffällig nähere ich mich ihm von hinten. Ich bin so glücklich, ihn endlich zu sehen. Ich tippe ihm auf die Schulter und bevor er reagieren kann, springe ich ihm schon um den Hals. Er küsst mich. – Er küsst gut. Kein Wunder. Ich habe es ihm vor vielen Jahren beigebracht. „Endlich bist du hier“, höre ich seine warme Stimme und fühle die zarte Haut seiner Hand, während er mir über die Wange streichelt. Er trägt meinen Koffer, obwohl ich das eigentlich nicht mag. Aber es scheint ihm nichts auszumachen. Hand in Hand gehen wir
zum Auto.

Newstories Teil 4

Ich sehe in den Spiegel – schaue in mein Gesicht. Ich fürchte mich ein wenig. Vor mir selbst. Sie umarmt mich von hinten und schaut über meine Schulter. „Du bist jämmerlich.“, höre ich Sie sagen. Im nächsten Moment spüre ich einen unsagbaren Schmerz in meinem gesamten Körper. Die Welt scheint plötzlich in rot getaucht, ich falle auf die Knie und schließe die Augen. Eiskalter Schweiß sammelt sich auf meiner Stirn während tausende Gedanken mir durch den Kopf schießen. Aber ich spüre, dass es nicht meine sind. Sprachen, die nie jemals sprach, Bilder, die nie jemand sah, Geheimnisse, die nie jemand verstand. – Alles in meinem Kopf. Es scheint mich zu erdrücken, aber es fühlt sich gut an. So überlegen… „Du
unterschätzt mich gewaltig.“, höre ich mich sagen, doch das bin nicht ich. Ich versuche, mich verzweifelt zu bewegen, doch mein Körper gehorcht mir nicht mehr. Im nächsten Moment trifft es mich, wie ein Schlag: Ich habe keine Kontrolle mehr über meinen Körper! Ich werde panisch, aber irgendetwas scheint mich zu beruhigen. Ich stehe auf und öffne die Augen – die Welt immer noch in einem Rotschimmer. Doch alles sieht plötzlich ganz anders aus, obwohl es gleich blieb. Meine gesamte Umgebung ist gestochen scharf – als könnte ich jede kleinste Unebenheit, jeden Makel erkennen. Der
Spiegel scheint ein Tor in eine andere Welt zu sein. Das Holz des Schranks scheint zu leben – doch es regt sich nicht. Ich stehe auf und alles scheint unglaublich leicht zu sein, als wäre ich eine Feder. Als ich zur Tür gehe und den Griff berühre, fühle ich jede, noch so kleinste Kerbe und Verformung im kühlen Metall. – Sofort schießen wieder tausende Bilder durch
meinen Kopf. Ich verstehe sie nicht. Aber Sie scheint es zu verstehen.   Einen Moment später bewege ich mich mit rasender, unmenschlicher Geschwindigkeit durch die Stadtgassen – ohne auch nur die geringste Ahnung, wo ich bin, aber Sie scheint es zu wissen. Am Ende einer Straße sehe ich im Schatten eine Gestalt stehen. Sie strahlt eine unangenehme
Aura aus. Es ist ein Mann. Er trägt einen langen schwarzen Ledermantel mit einer Kapuze, dessen Schatten sein Gesicht verbirgt. Er
kommt näher. Und es wird still… Unendlich still… Und finster…

Newstories Teil 5

Als ich erwache, geht es mir erstaunlich gut. Ich liege auf einem riesigen
Himmelbett mit schwarzen, durchsichtigen Gardinen und schneeweißer Bettwäsche. Es ist gemütlich. Ich öffne meine Augen und es ist angenehm dämmrig. Der Raum ist relativ groß und möbliert. Ein Fenster mit wuchtigen, roten Vorhängen befindet sich in einem Abstand von ein paar Metern rechts neben einer Tür. Neben der Tür steht ein Schrank. Mit einem großen Spiegel. Ich setze mich auf und reibe mir die Augen. Eine
schwere Kette ist mit einem Schloss an meinem Fuß befestigt. Das andere Ende ist eine verschraubte Eisenstange am Bett. Meine Grundbedürfnisse
melden sich – ich habe Hunger und großen Durst. Ich blicke mich um und
entdecke auf dem Schränkchen neben dem Bett ein Tablett, auf dem ein gut
gefüllter Teller steht: Lasagne. – Mein Lieblingsessen. Ebenfalls steht dort ein Glas, eine Flasche Orangensaft und eine Flasche Mineralwasser. *Er kennt mich wohl doch besser, als ich dachte.* Sofort mache ich mich darüber her. Der zweite Bissen bleibt mir
fast im Hals stecken. Für einen Moment taucht der gesamte Raum in Dunkelheit. Ein Gefühl überkommt mich, als würde ich beobachtet. Langsam schlucke ich. Es ist als würde jemand in meine Seele sehen. Ich schließe meine Augen und atme tief durch. Als ich sie ein paar Sekunden später öffne, ist alles normal. Mir ist der Hunger vergangen. Ich sitze ich auf der Bettkante und starre mein Spiegelbild an: Ein Mädchen, strahlend blaue
Augen, schwarze, schulterlange Haare. Wohlgeformt, aber nicht dick. Nicht zu klein und nicht zu groß, 1 Meter und 75cm. Plötzlich sehe ich im Spiegel eine Frau direkt neben mir stehen – blutrote Augen, weiße Haut, blondes
Haar – bis zur Hüfte. Erschrocken drehe ich mich zu der Position, an der sie
stehen müsste. Doch dort ist niemand. Ich sehe wieder in den Spiegel: Dort steht sie noch immer an genau der Position. Ungläubig und vor Angst gelähmt starre ich auf den Laminatboden, wo sie stehen müsste. Als ich nun wieder in den Spiegel sehe, ist sie verschwunden. Ich kauere mich in die Ecke. Was passiert mit mir?…

Newstories Teil 6

Ich sehe auf eine schwarze Rose in meiner Hand. Mein Arm ist blutüberströmt. Es ist nicht mein Blut. – Glaube ich. Erinnerungen, die nicht meine zu sein scheinen, verdrängen in Sekundenbruchteilen meine Gedanken: Ich sehe den Mann in Schwarz, er gibt mir etwas. Irgendetwas scheint nicht zu wollen, dass ich weiß, was es ist, denn es ist verschwommen in den Erinnerungen. Ich werde aus den Bildern gerissen. Etwas Warmes läuft an meinem Gesicht herunter. Ich fasse mir an die Nase, schaue auf meine Hand und sehe Blut. Wie ein kleiner Bach fließt es aus meiner Nase und tropft auf den Boden. Alles fängt an, sich zu drehen. Ich setze mich unsanft auf den Boden. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es 5:36 Uhr in der Früh ist. Es dämmert bereits. Als ich mich umsehe, merke ich, dass ich mich im Stadtpark befinde. Neben mir plätschert ein kleiner Bach in einen See. Ich sitze auf einem glatten Steinboden, nahe dem Ufer. Ich wische mir das Blut aus dem Gesicht und stehe auf, nur um im nächsten Moment beinahe zu stürzen, als meine Beine nachgeben. Mein gesamter Körper schmerzt. An einer Bank ziehe ich mich hoch und bleibe einen Moment stehen, bis die Welt aufhört, sich zu drehen. „Was ist los mit dir? Fühlst du dich ausgelaugt?“, raunt die Stimme in meinem Kopf. „Schweig endlich, Diana! Was hast du diesmal angerichtet?“ „Kleiner, ich würde nie etwas tun, was du nicht in deinem tiefsten Inneren verlangst. Das weißt du.“, belächelt Sie mich. „Erinnerst du dich an damals? Unsere erste Begegnung? In deinem Traum?“, fügt Sie an. Wieder die alten Bilder in meinem Kopf: Ein seltsamer Geruch stößt mir entgegen, als ich mein Zimmer betrete. Sie liegt im Bett. Ich ziehe die Bettdecke weg und alles ist voller Blut! Sie reagiert nicht. Egal was ich tue. Aber keine Wunde ist zu sehen. Ihr Blick: Sie starrt mit weit geöffneten Augen ins Leere. Tränen strömen über meine Wangen. Ich nehme meinen Dolch und verlasse das Zimmer. Es ist dunkel. Unnatürlich dunkel. Ich höre mein Herz, wie es immer langsamer wird. Ich sehe diese Gestalt. Ich weiß nun, dass Sie es damals war. Diana. Langsam kommt Sie auf mich zu, doch scheint sich nicht zu bewegen. Ein ohrenbetäubendes Rauschen im Kopf. Mein Herz wird immer langsamer. Es wird immer dunkler. Nur noch diese rot leuchtenden Augen genau vor meinem Gesicht. Mit diesen schwarzen Linien – wie Äderchen, nur regelmäßiger… „Wann lässt du mich endlich in Ruhe? Ich habe dich damals schon weggeschickt. Eingesperrt. Ich werde es wieder tun.“ – meine innere Stimme scheint zu verschwinden. „Du weißt, dass du schwächer bist als ich. Gib auf. Du bist nur ein Mittel zum Zweck, mehr nicht.“ „SEI ENDLICH STILL!“ ich schreie so laut, dass es mir Schmerzen bereitet. Ein weißer Schmetterling fliegt an mir vorüber. Farbige Blätter fallen von den Bäumen. Ich erinnere mich an damals, wie ich am Bahnhof stand… Entgegen jeder Erwartung bleibt es still. Nur der Bach plätschert und ein paar Vögel zwitschern.

Newstories Teil 7

Ich reiße mit voller Kraft an der Kette an meinem Fuß. Keine Chance. Eher breche ich mir alle Knochen. Es rührt sich nichts. Ich schließe die Augen und versuche, meine Gedanken zu sammeln. Wie bin ich hier her gekommen? Ich erinnere mich, wie ich halber Bewusstlosigkeit einen langen Weg getragen wurde. Der Wind fegte durch meine Haare. Ich muss
hier raus. Mit aller Kraft, voller Wut und Verzweiflung schlage ich nach den Ketten. Ich bereue es sofort, als große Schmerzen sich in meiner Hand ausbreiten. Blut rinnt an meiner Hand herunter. – Ich lecke es ab. Erneut
versuche ich, mich zu konzentrieren. Mit aller Gedankenkraft versuche ich, Energie in meine Hände zu leiten. Ob so etwas überhaupt geht? Ich muss diese Ketten loswerden! Erneut reiße ich an der Kette. Langsam aber sicher verbiegt sie sich. Ich versuche es erneut mit aller Kraft. Zwei Kettenglieder reißen auseinander und mit einem Ruck knalle ich gegen die Wand. Es war laut… Ich versuche, möglichst still zu sein und zu lauschen. – Nichts. Totenstille. Ich will die Tür öffnen, aber sie ist verschlossen. Durch das
Schlüsselloch sehe ich nichts, außer Dunkelheit. Aber plötzlich fühle ich mich beobachtet. Als ich mich umdrehe, steht er plötzlich vor mir. Er starrt
mir geradewegs in die Augen. Ich schlage ihm ins Gesicht – keine Wirkung. Er lächelt mich bloß an. Ein kleiner Blutstrom fließt aus seinem Mundwinkel. Mit Gewalt packe ich ihn am Hals und drücke ihn gegen die Wand. Weiterhin keine Reaktion von ihm. – Wutentbrannt blicke ich in sein Gesicht. In seine eiskalten Augen. Die eine Iris ist blutrot, die andere blau-grau. Plötzlich gibt mein Griff nach und ich pralle gegen Die Wand. Er ist verschwunden! Blitzschnell drehe ich mich um. – Nur um im nächsten Moment einen kräftigen Hieb in den unteren Bauch zu bekommen. Er verdreht meinen Arm und ich gehe in die Knie. Wieder lacht er. „Du hast wohl gedacht, du hättest eine Chance?“, höre ich ihn sagen. Ich bin nicht in der Lage zu antworten – die Schmerzen sind zu groß. Tränen rollen über mein Gesicht. Ich reiße mich los und schlage nach ihm, doch ich verfehle unerklärlicherweise. Im nächsten Moment finde ich mich Bett wieder. Die Kette wieder an meinem Bein befestigt. Nur die Schmerzen zeugen davon, dass ich mir das nicht bloß eingebildet habe. Ich drücke mein Gesicht in ein Kissen und weine. Ich will hier weg…